Wo’s nur Felsen gibt
Steil führt der Pfad den Berg hinauf, der Fels ist rutschig vom Regen. Langsam wird es dämmrig, wir sind nass bis auf die Haut und wollen eigentlich nur eins: Einen Schlafplatz finden. Links von uns fällt der Berg zum strahlend blauen Meer hin ab, rechts von uns geht es weiter bergauf, und überall um uns her sind nichts als scharfkantige Felsen und dichtes Macchia-Gesträuch. Wir – elf Pfadfinder aus der Region Mitte sowie ein Gasthajker aus der Region Südwest – sind unterwegs im Supramonte-Gebirge im Osten Sardiniens.
Eigentlich hatten wir uns für unsere Osterfahrt eher Sonnenschein gewünscht, aber an diesem ersten Tag unserer Fahrt lernen wir Sardinien von einer anderen Seite kennen. Zumindest ist es wesentlich wärmer als im frostigen Deutschland und gerade, als die ersten von uns endgültig die Kräfte verlassen, finden wir eine Stelle, auf der nach ersten Schätzungen zumindest fünf von uns schlafen können. Tatsächlich schaffen wir es, nachdem wir viele Steine und einige sehr intensiv nach Knoblauch stinkende Pflanzen entfernt haben, zehn Isomatten unter unseren Planen unterzubringen und dort zu zwölft ziemlich zusammengequetscht zu schlafen.
Am nächsten Morgen werden wir von der warmen Sonne und strahlend blauem Himmel geweckt, so dass es keinen lange in den Schlafsäcken hält. Während wir unseren Haferschleim verspeisen, der uns an diesem ersten Morgen noch vorzüglich mundet, und wir die Andachtreihe über den Philipperbrief starten, trocknen wir in Sträuchern und auf Felsen unsere nassen Sachen. Als alles wieder verstaut und trocken ist, wandern wir bei schönstem sardischem Wetter den Berg entlang gen Süden, legen eine kleine Pause in einer der vielen Höhlen des Supramontes ein und gelangen schließlich mittags zur Cala Luna, einer nur zu Fuß oder per Boot erreichbaren Bucht, deren strahlend weißer Sandstrand schon von Weitem zu sehen ist. Wir müssen ein Wasserbecken durchwaten, dann gelangen wir zum Strand, wo wir unser Mittagessen einnehmen.
Am Wasserhahn der nicht geöffneten Strandbar waschen wir uns ausgiebig, füllen unsere Wasserflaschen und -säcke mit Wasser auf und beginnen dann unsere lange Wanderung durch die Schlucht Codula di Luna. Im unteren Bereich verläuft der Fluss, der diese Schlucht gegraben hat, unterirdisch, so dass wir uns auf teils sandigem, teils steinigem Grund einen Weg durch die Büsche bahnen müssen. In der wunderbar mondhell erleuchteten Schlucht finden wir leicht einen guten Schlafplatz und sitzen an diesem Abend noch lange am Lagerfeuer und singen, während wir immer wieder von wilden Hausschweinen besucht werden, die hier leben.
Andere Menschen treffen wir hingegen nicht, auch nicht, als wir am nächsten Tag unsere Wanderung die Schlucht hinauf fortsetzen. Der Weg wird steiniger und anstrengender und nachdem wir schon Kurve um Kurve darauf gehofft haben, taucht der Fluss tatsächlich wieder aus dem Untergrund auf. Gleichzeitig werden die Felsen immer größer und irgendwann müssen wir klettern und Rucksackketten bilden, aber auch diesen sehr abenteuerlichen Teil der Strecke meistern wir gemeinsam. Irgendwann erreichen wir tatsächlich das Ende der Schlucht und wandern auf unbefahrenen, aber geteerten Sträßchen weiter. Der Weg führt steil hinauf in die Berge, aber eine sandige Insel unten im Fluss bietet nicht nur einen wunderschönen Platz für unser Zelt, sondern auch eine gute Gelegenheit zum Waschen stinkender Socken.
Sauber und frisch wie der junge Morgen ziehen wir weiter bis zum Bergdorf Urzulei, wo wir unsere Vorräte auffüllen müssen. Aufgrund der langen Mittagspause verbringen wir viel Zeit auf dem zentralen Dorfplatz und haben erstmals Gelegenheit, die Gastfreundschaft der Sarden zu erleben, als eine Frau uns plötzlich eine Thermoskanne mit heißem Tee vorbei bringt, die wir dankend annehmen, da ein kalter, böiger Wind weht und die Sonne irgendwo hinter dunklen Wolken verschwunden ist. Auf der Suche nach einem Schlafplatz fragen wir in einer katholischen Einrichtung nach. Eine Wiese für unsere Planen hätte uns eigentlich gereicht, aber die drei Frauen dort setzen alle Hebel in Bewegung, bis sie vom Bürgermeister den Schlüssel für das Dorfgemeinschaftshaus bekommen, in dem wir die regnerische und stürmische Nacht gut geschützt verbringen und die frischen Orangen genießen, die wir geschenkt bekommen haben.
Am nächsten Morgen – Ostersonntag – beginnen wir den Tag nach dem üblichen Haferschleim, der mittlerweile schon nicht mehr jedem schmeckt, mit der Lesung der Auferstehungsgeschichte und suchen später noch Ostereier auf dem Hof des Dorfgemeinschaftshauses. Da an den Feiertagen kein einziger Bus in Urzulei hält, teilen wir uns, unsere Vorräte und das Gruppengepäck in vier Dreiergruppen auf, um zu unserem nächsten Zielort Baunei zu trampen. Bis hinauf zur Kreuzung auf der Höhe des Berges klappt das Trampen wunderbar, dann aber müssen wir feststellen, dass fast kein Auto in Richtung Baunei unterwegs ist und so machen sich die ersten drei Gruppen auf den langen Marsch die Straße entlang. Der letzten Gruppe gelingt es aber, einen überraschender Weise vorbeifahrenden Linienbus anzuhalten, der dann nach und nach auch die anderen Gruppen einsammelt.
So können wir das Mittagessen gemeinsam in der warmen Sonne vor der Kirche San Nicola in Baunei einnehmen, bevor wir uns wieder auf den Weg in die Berge machen und auf einem Aussichtspunkt über der Stadt unseren Ostergottesdienst mit improvisiertem Abendmahl abhalten. Unser Weg führt uns auf staubigen Wegen durch die Macchia bis zum Grundstück eines kleinen Bauernhofes, wo wir unsere Planen aufspannen dürfen.
Als wir am nächsten Morgen die Wasserflaschen auffüllen wollen, ist auf dem Hof schon die gesamte Großfamilie versammelt und bereitet ein großes Buffet vor. Wir bekommen leckeres Ostergebäck und zwei Liter sardischen Rotwein geschenkt und machen uns motiviert durch die herzliche Art der Hofbewohner auf den Weg hinunter zum Meer.
Im Regen führt der Pfad steil den Berg hinab, teils ein schmales Felsband entlang, teils auf rutschigem, feuchtem Geröll. Lust auf eine Mittagspause hat bei diesem Wetter keiner und so laufen wir durch bis zur Felsspitze Pedra Longa direkt an der Küste, wo wir zur Stärkung der Gruppenmoral in dem kleinen Restaurant dort einkehren und Ravioli – die Empfehlung des Tages – verspeisen. Die Restaurantbesitzer erlauben uns, auf der überdachten Terrasse zu übernachten. Abends machen wir ein Feuer in der Felsenbucht am Meer, essen unsere Tomatenreispampe, singen und lassen unser Geschenk vom Vormittag kreisen. Gerade als wir schlafen gehen wollen, bekommen wir noch Besuch von zwei Carabinieri, die unsere Personalien aufnehmen (falls wir etwas zerstören sollten), uns aber ansonsten sehr freundlich gesinnt sind. Sie lassen sich sogar mit uns fotografieren und geben uns dann ihre E-Mail-Adressen, um die Fotos auch zu bekommen.
Nach einer Waschaktion mit Gartenschlauch auf der Restaurantterrasse am nächsten Morgen vernichten wir die letzten Reste Haferschleim und brechen auf zur letzten Wanderetappe, die uns bei trockenem, aber bewölktem Wetter immer die Küste entlang nach Santa Maria Navarrese führt, wo wir mal wieder unsere Vorräte auffrischen und dann den Bus nach Dorgali besteigen. In Dorgali lernen wir mit Hilfe der Frau aus der Touristen-Information Don Luca, den jungen Pfarrer der katholischen Kirche dort, kennen, der selbst Pfadfinder ist und sich sehr freut, Gäste aus der internationalen Pfadfinderfamilie zu haben. Wir dürfen in den Räumen schlafen, die seine Jugendgruppe nutzt, und er beordert gleich noch ein paar Jugendliche zum Aufräumen herbei.
Leider können Don Luca und seine Jugendgruppe nicht mit uns den Abend verbringen, da sie Bayern gegen Juve gucken müssen (wir hätten uns für sie wirklich einen Sieg für Juve gewünscht, aber dazu kam es leider nicht), aber vorher bestellen sie uns noch elf Pizzen und bringen uns Getränke und süßes Gebäck vorbei. Da wir parallel auch noch tonnenweise Tortellini gekocht haben, erwartet uns an diesem Abend ein wahres Festessen, das beim Frühstück noch fortgesetzt wird.
Den vorletzten Tag unserer Reise verbringen wir im Bus, der uns zunächst nach Nuoro bringt, wo wir endlich das lang ersehnte italienische Eis verspeisen können und die Einwohner mit einer Singerunde auf einer Verkehrsinsel erfreuen, und dann weiter zum Flughafen von Alghero, von wo aus wir uns auf die Suche nach einem Schlafplatz begeben. Auf dem Spielplatz eines Bauernhofes mit Ferienanlage dürfen wir schließlich unsere Planen aufspannen und den letzten gemeinsamen Abend der Fahrt verbringen. Wir nutzen die Gelegenheit, um das auf dieser Fahrt entstandene Fahrtenlied zu üben und diskutieren ein letztes Mal unsere Lieblingsthemen: Schweine, Haferschleim und Haferschweine.
Am Abreisetag besuchen wir Alghero, verzehren am algigen Strand unsere letzten Nudeln und müssen dann Abschied nehmen von dieser wunderschönen Insel, ihren freundlichen Einwohnern, der wohligen Wärme und dem „Mose-Stock“, unserem treuen Wanderstock und Zeltplanenhalter. Das Flugzeug bringt uns zurück nach Hahn, wo dann auch die Haferschweine, wie wir unsere Fahrtengruppe mittlerweile genannt haben, auseinander gehen müssen. Auch wenn wir uns auf Duschen, Betten und verschiedene Nahrungsmittel freuen, so lassen wir die Fahrt doch nur ungern zu Ende gehen. Gemeinsam haben wir in den vergangenen neun Tagen so viel erlebt und gesehen und wir sind Gott dankbar für seine Führung und Bewahrung, für die Begegnungen mit den Einheimischen und für die tolle Gemeinschaft untereinander, die auch in den schwierigsten Situationen die Stimmung immer hochhielt. Auch wenn die Fahrt nun vorbei ist – diese Erinnerungen bleiben!
PS: Das Fahrtenlied zu unserer Tour könnt ihr euch unter https://www.youtube.com/watch?v=kkoKLaf5YNc anhören. Nachsingen ist erlaubt 🙂
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